Am 14. September fand in Wismar die erste Parade zum Christopher Street Day statt. Immer wieder versuchten Rechtsextreme, die Veranstaltung zu stören. Und das mit Ansage: Schon Wochen vorher hatte die Szene in den Sozialen Netzwerken mobilisiert. Daher gibt es Kritik am Landesverband der queeren Vereine sowie an der Polizei.
Diese hatte bei einer Auseinandersetzung zwischen Antifa und Rechten am Rathaus resolut eingegriffen und war dabei gewaltsam gegen Demonstrierende und Umstehende vorgegangen.
„Ganz Deutschland hasst den CSD“, „Ost, Ost, Ostdeutschland“, „Eure Kinder werden so wie wir“ und „Nazikiez“ brüllten 200 Rechtsextreme der bunten CSD-Parade aus 2.100 Queeren und deren Unterstützenden entgegen, als die beiden Gruppen vor dem Wismarer Bahnhof aufeinandertrafen.
Der rechtsextreme Gegenprotest gegen sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung, Akzeptanz und Gleichstellung war zwar nicht angemeldet, kam aber dennoch nicht überraschend: Im Vorfeld hatte die Neonaziszene in den Sozialen Medien zu Störungen aufgerufen.
Rechte Aufmärsche und Störaktionen gegen CSDs wie in Bautzen und Leipzig hätten bereits vor dem CSD in Wismar gezeigt, wie groß das Mobilisierungspotenzial der rechtsextremen Szene sei, so der Vorstand des queeren Landesverbands LSVD Queer MV, Sebastian Witt.
Entsprechend ernst hätten sie die Bedrohung im Vorfeld genommen. Das bestätigt auch Luis Dannewitz, der Hauptorganisator des Wismarer CSDs.
Im Austausch mit anderen ehrenamtlichen Aktiven ließen die Veranstalter:innen der Polizei alle Informationen zur Mobilisierung von rechts zukommen. „Ich habe fast täglich mit der Polizei telefoniert“, berichtet Dannewitz.
Auch Staatsanwaltschaft und Polizei betonen im Nachgang der Pride Parade: „Die Aufrufe in den sozialen Netzwerken hatten Auswirkungen auf die Lagebeurteilung und die damit verbundene Einsatzplanung.“ Die Polizei war mit etwa 200 Beamt:innen im Einsatz. Viele von ihnen wurden am Bahnhof eingesetzt, wo die unangemeldete Gegendemonstration von 200 Rechtsextremen stattfand.
Die Ordnungskräfte kesselten die Gegendemo ein und ließen den Aufmarsch nur wenige Meter vom Lindengarten zum Bahnhofsvorplatz ziehen. Die An- und Abreise von CSD-Teilnehmer:innen sowie Rechtsextremen wurde von der Bundespolizei abgesichert.
Auch der Verein der lesbisch-schwulen Polizeibeamt:innen Velspol MV sei in die Planung des CSDs eingebunden gewesen, sagt der Geschäftsführer des LSVD Queer MV, Roy Rietentidt. Für Polizei und Veranstalter:innen sei die Sicherheit der CSD-Teilnehmenden oberste Priorität gewesen. Das bestätigt auch Dannewitz. Im Vorfeld veröffentlichte er Beiträge auf Instagram, in denen er Teilnehmende der Parade vor rechten Gegendemonstrant:innen warnte und Sicherheitshinweise gab.
Die intensive Vorbereitung habe sich gelohnt, findet Rietentidt. „Wenn ich an den CSD zurückdenke, dann finde ich, dass die Polizei erst mal einen guten Job gemacht hat“, so der Geschäftsführer. Er räumt allerdings auch Probleme ein.
Zu einem ganz anderen Urteil kommt der CSD Rostock. Drei Tage nach der Parade in Wismar veröffentlichte der Verein eine Pressemitteilung. Darin kritisiert er den Landesverband für eine Fehleinschätzung der Gefahr und mangelnde Sicherheitsmaßnahmen für die Teilnehmenden des CSD. „Die Community ist durch Rechtsextreme so bedroht wie seit den Neunzigerjahren nicht mehr“, warnt Frieda Kopp vom CSD Rostock.
Und obwohl die explizit unfriedlichen Absichten und das „massive“ Gefahrenpotenzial der rechtsextremen Gegenproteste bekannt gewesen seien, habe es in Wismar „an grundlegendsten Vorkehrungen gefehlt“, kritisiert Kopp.
Der Landesverband habe den unerfahrenen Veranstalter des Wismarer CSDs nicht gut beraten und unterstützt, sondern „das kleine Team vom CSD in Wismar sehenden Auges ins offene Messer rennen“ lassen.
Statt Polizei und Veranstalter schützten laut Kopp Aktivist:innen der Antifa die CSD-Teilnehmenden in Wismar: „Dass an diesem Tag nichts Schlimmes passiert ist, ist einem breiten Bündnis von Greifswald bis Hamburg und Kiel zu verdanken, das sich von Rostock aus organisiert hatte, um dem CSD in Wismar und dessen Teilnehmenden beizustehen.“
So hätten mehrere Hundert Antifaschist:innen aggressive Rechtsextreme daran gehindert, zum CSD zu ziehen. „Hätte es dieses Bündnis aus antifaschistischen Queers und Allys (Verbündeten – Anm. d. Red.) nicht gegeben, dann hätten die rechtsextremen Störer die Teilnehmenden des CSD nahezu ungehindert angreifen können – und das hätten sie“, so Kopps Fazit.
Anders schätzt wohl die Polizei die Rolle der Antifa beim CSD ein. Als die Polizei in den Vorgesprächen von Mobilisierungen der Antifa erfahren habe, seien die Beamt:innen kritisch gewesen, erinnert sich Luis Dannewitz.
Die Veranstalter:innen suchten daraufhin den Kontakt zu Aktivist:innen der Antifa. „Ich habe persönlich gesagt, dass ich mir wünsche, dass der sogenannte schwarze Block nicht erscheint“, erinnert sich Roy Rietentidt.
Unterstützung von linker Seite sei allerdings willkommen gewesen. Letztlich gab es die Absprache, dass Aktivist:innen der Antifa bunt gekleidet und friedlich zum CSD erscheinen sollen.
„Ich muss sagen, dass 98 Prozent der Antifa genau das gemacht haben, was sie vorher versprochen haben“, sagt Rietentidt heute. „Viele waren da und haben für uns in die Seitenstraßen geschaut und aufgepasst.“
Der CSD Rostock hingegen kritisiert den Umgang des Landesverbands mit dem antifaschistischen Bündnis. So habe Sebastian Witt vom Verband „letztlich sogar jene, die das Schlimmste verhinderten, dafür kritisiert, die ‚Nazis zu provozieren‘“.
Frieda Kopp vom CSD Rostock fordert einen intensiven Prozess und engen Austausch zwischen dem Landesverband der queeren Vereine und der Polizei. Rostock sei dafür Vorbild: So besprechen dort queere Vereine mit der Polizei regelmäßig die Gefährdungslage, es gebe feste Ansprechpersonen für queerfeindliche Gewalt und die Polizei habe sich zu Verbesserungen innerhalb ihrer eigenen Strukturen verpflichtet. „Genau diesen Prozess brauchen wir dringend auf Landesebene vom LSVD Queer MV – doch da kommt nichts“, bemängelt Kopp.
Nicht nur am Rande des CSDs trafen rechtsextreme Gegendemonstrant:innen und CSD-unterstützende Antifa-Aktivist:innen aneinander, sondern auch mittendrin.
Als gegen 16.45 Uhr die bunte Parade wieder am Marktplatz der Hansestadt eintrifft, steht eine Handvoll Jugendlicher mit zwei Deutschlandflaggen vor dem Rathaus. „Um Nationalstolz zu zeigen“, wie der 16-jährige Christian gegenüber KATAPULT MV erklärt.
Er und seine Freunde hätten etwas gegen Schwule, Lesben und Transpersonen. „Es gibt nur Mann und Frau und Mann und Frau zusammen. Alles andere ist unnötig“, findet Christian.
Immerhin ehrlich
Als Antifa-Aktivist:innen die Gruppe vor dem Rathaus sehen, seien sie auf sie zugekommen. Zunächst nur einer, um zu fragen, warum sie da seien, erzählt Christian.
Dann immer mehr – etwa 30 Personen, die sich nach Aussagen verschiedener Anwesender erst einen verbalen Schlagabtausch mit den rechten Jugendlichen liefern, dann einen körperlichen.
Christian erzählt, dass sein ebenfalls 16-jähriger Kumpel einen Schlag ins Gesicht bekommt, als jemand ihm die Deutschlandfahne entreißt.
Daraufhin will der Freund sein Beil ziehen, das er in der Innentasche seiner Jacke bei sich hat. Angeblich, weil er in den Garten wollte, sagt Christian über seinen Freund.
Natürlich.
Christians Mutter Nadine vermutet gegenüber KATAPULT MV eher, dass der Kumpel das Beil nicht nur auf dem Weg zum Garten bei sich trägt.
lol
Christian habe seinen Freund daran gehindert, das Beil zu ziehen, sagt er. Fünf Polizist:innen ziehen den 16-Jährigen mitsamt dem Beil aus der Menschenmenge, drücken ihn gegen die Wand des Rathauses und durchsuchen ihn. Schnell finden sie das Beil und führen ihn ab.
Etwa drei Stunden später sei sein Kumpel wieder aus dem Polizeirevier in der Rostocker Straße entlassen worden, erzählt Christian. Laut der Staatsanwaltschaft wurde eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz aufgenommen.
Waffen sind auf Demonstrationen verboten, nur friedliche Versammlungen sind von der Versammlungsfreiheit geschützt.
Danke für die Einordnung. Das hätte ich nicht erwartet. Wäre fast mit meiner Berserkeraxt zur nächsten FFF Demo gegangen.
Ob das Mitführen eines Beils auch gegen das Waffengesetz verstoße, sei Teil der aktuellen Ermittlungen, teilt die Polizei mit.
Roy Rietentidt vom Landesverband Queer MV ist es wichtig, alle Fälle von Gewalt rund um den CSD zu prüfen. Dazu sammelt die Geschäftsstelle aktuell alle Vorfälle. Betroffene können sich auch anonym melden.
Die Geschehnisse sollen dann in Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Innenministerium aufgearbeitet werden, so Rietentidt.
Also wird nichts passieren, gut zu wissen
So wie der Fall eines verletzten Polizeibeamten. Dieser wurde mit einer Stange leicht verletzt, als Rechtsextreme und CSD-Teilnehmende bei der Anreise am Bahnhof aufeinandertrafen.
Roy Rietentidt hatte sich dafür nach der Parade mit der Polizei in Verbindung gesetzt: „Dass der Polizist verletzt ist, tut uns leid und ist nicht in Ordnung. Wir möchten aber auch die Fälle klären, bei denen vonseiten der Polizei etwas so gelaufen ist, dass es nicht in Ordnung war.“
Ich finde nicht, dass man sich als CSD-Organisator da entschuldigen muss, wenn Rechtsextreme deine Demo angreifen und dabei ein Polizist verletzt wird.
Fünf Minuten nachdem Christians Freund abgeführt wurde, zerrten zwei Polizist:innen eine Person aus der Menschenmenge des CSD ins Rathaus. Dabei gingen sie nach Beobachtungen von KATAPULT MV gewaltsam gegen Demonstrierende und Umstehende vor.
Polizisten, die gewaltsam gegen queere Menschen vorgehen? Wenigstens die Polizei bleibt ihrer Tradition treu.
Der herausgezogene Demonstrant ist Alex. Der Transmann ist bei der Auseinandersetzung auf dem Marktplatz dabei gewesen, habe die Deutschlandflagge gefangen, nachdem jemand anderes sie weggenommen und in die Luft geworfen habe, und sei mit ihr weggelaufen.
Sie selbst entwendet oder jemanden geschlagen habe er nicht, schildert Alex gegenüber KATAPULT MV. „Ich distanziere mich von jeglichem Extremismus“, betont Alex.
Warum er auf dem CSD in Wismar war? „Wir wollten den Teilnehmer:innen zeigen, dass wir an deren Seite stehen und etwas für Sicherheit sorgen, weil die Polizei das ja oft verkackt.“
Klingt nach Solidarität. Scheiß Linksextremist.
Alex erzählt, dass er im Rathaus auf den Boden gedrückt worden sei. Er habe blaue Flecken davongetragen. Gegen 21 Uhr sei er aus dem Polizeirevier entlassen, die Anzeige gegen ihn fallengelassen worden.
Laut Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft wurde in dem Zusammenhang eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung aufgenommen.
Verfahren eingestellt in 3,2,1, …
Nach der Festnahme sei es ihm nicht gutgegangen, erzählt Alex. Er habe Flashbacks und Angst vor der Polizei. „Immer noch ist es schwierig für mich, wenn die Polizei an mir vorbeifährt und generell, wenn ich sie irgendwo sehe. Ich denke dann direkt, dass ich schon wieder etwas ‚angestellt‘ habe.“
Alex hat Anzeige wegen Körperverletzung gegen die Beamt:innen erstattet. „Die Anzeige wurde fallengelassen, wegen zu wenig Beweisen.“
Ich bin schockiert.
Gegen einen vermutlich anderen Polizisten hat die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um die Identität des Beamten und den Sachverhalt zu klären. Am Rande von Alex’ Festnahme hatte ein Polizist unseren Chefredakteur angegangen.
Polizisten die Journalisten angehen? Kann ich mir nicht vorstellen.
Corinna Pfaff vom Deutschen Journalistenverband MV sagt, dass Gewalt gegen Medienschaffende in der jüngeren Vergangenheit zugenommen hat, vor allem im Umfeld von Demonstrationen. Dass diese Gewalt jedoch von der Polizei ausgehe, sei bisher noch nicht vorgekommen.
Dennoch rät sie davon ab, Pressewesten zu tragen, „weil man dann unter Umständen eher Angriffsziel für Demonstrierende zu werden droht“.
Stattdessen solle man bereits im Vorfeld Kontakt zur Polizei aufnehmen und den Presseausweis immer parat haben.
Und zufälligerweise dauert es bei bestimmten Demos dann immer ganz lange, bis eine Rückmeldung der Polizei kommt, weshalb der Journalist ohne Abstimmung mit Polizei und ohne Weste zur Demo geht.
Und nachdem der Journalist durch Polizisten behindert wurde und nicht filmen konnte, wie Demonstrierende verprügelt werden, stellt sich heraus, dass die Nachricht an die Polizei leider nicht angekommen ist.
Um solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern, plant sie gemeinsam mit dem Innenministerium regionale Stammtische, um Polizei, Feuerwehr und Journalist:innen zusammenzubringen.
Oh Gott bitte nicht. Journalisten tippen doch schon jetzt Polizeimeldungen unkritisch ab. Wie soll das werden, wenn die sich jetzt auch noch persönlich anfreunden?
Zu den laufenden Verfahren machen Polizei und Staatsanwaltschaft keine weiteren Angaben.
Trotz der Schwierigkeiten haben die Veranstalter:innen viele positive Rückmeldungen bekommen. Es sei ein besonderes Zeichen gewesen, dass über 2.000 Menschen in Wismar gefeiert haben. „Es waren Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft dabei. Queere, aber auch Menschen, die sich mit ihnen solidarisieren“, fasst Roy Rietentidt zusammen.
Die Veranstaltung habe der queeren Vereinsarbeit in der Region einen enormen Schub gegeben. Auch Luis Dannewitz hat viel Positives erfahren: „Es kamen viele Leute auf mich zu, teilweise schon während der Demo, und haben sich gefreut, dass Wismar so erstrahlt ist.“
Sie haben auch viel mitgenommen für einen zweiten CSD in Wismar – zum Beispiel, welche Seitenstraßen noch besser gesichert werden müssen. Und es wird einen weiteren CSD in Wismar geben, verspricht Luis Dannewitz.